Selbstwertgefühl

Ich glaube jeder hat sich schon mal Gedanken darüber gemacht, was ihm zusteht? Zusteht im Sinne von, du hast es einfach deswegen verdient, weil du auf der Welt bist? Glauben wir, dass uns etwas zusteht, auch ohne, dass wir etwas dafür tun müssen?

Es ist eine Art innere Übung. Wenn man sich klar macht, und darüber Nachdenkt, sieht man sich vermutlich ratlos vor dem Spiegel stehen. Mir soll etwas zustehen? Ohne dass ich dafür etwas tun muss? Manchen kommt dieser Gedanken suspekt und zweifelhaft vor.

Ist das nicht interessant? Wir denken tatsächlich schon so sehr in Nutzen-Kategorien, dass wir vollkommen übersehen haben, dass wir Wesen sind, die einen natürlichen Anspruch darauf haben, dass man achtsam mit ihnen umgeht. Dass man sie nicht ohne Grund anschreit, bedrängt oder schief anschaut.

Wie stehen wir dazu? Ohne dass man dafür eine Gegenleistung erbringen muss? Es steht einem zu, dass man normal angesprochen wird, dass man höflich behandelt wird, dass …. Hier kann man selber einsetzten was einem dazu noch einfällt.

Das ist gar nicht so einfach, oder? Jeder wird das gut verstehen, diese Vorstellung. Denn dieser Nutzen Gedanken ist tatsächlich schon so in uns eingewoben, dass er uns nicht mal mehr auffällt.

Das darüber nachdenken, ist ein wichtiger Schritt. Denn es zeigt, wie wir über uns selbst denken. Denken wir, dass es uns zusteht, dass normal mit uns gesprochen wird? Denken wir, dass es uns zusteht, dass ein ausgemachter Termin eingehalten wird?

Man grübelt unweigerlich weiter über diese Frage. Dann entsteht eine Gegenfrage, Wieso nicht? Und zweitens der Gedanke, ob wir das denn jemand anderem zugestehen würden, als etwas das ihm zusteht? Meistens wird das zweitere mit einem klaren Ja beantwortet.

Man gesteht anderen zu, dass man normal mit ihnen spricht, dass man Termine mit ihnen einhalten sollte. Interessant daran ist, wieso sich manche Menschen schwer tun, sich das selbst nicht so unbedingt zugestehen zu wollen.

Doch niemand ist mehr wert als jemand anderer. Ein Arzt ist menschlich gesehen nicht mehr wert als eine Putzhilfe. Trotzdem er tieferes Wissen über Medizin hat und möglicherweise Menschenleben retten kann, ist er ein Mensch genau wie die Putzhilfe. Und trotzdem gibt es Menschen die auf die Putzhilfe herabsehen und sie nicht würdigen, warum tun sie das? Würde es Menschen nicht geben die Putzen könnte der Arzt seinen Beruf nicht korrekt machen da ja die Reinheit nicht gegeben wäre.

Doch der Wert ist immer der gleiche. Das ist ein sehr wichtiger Gedanke, den wir immer wieder aus dem Auge verlieren. Jeder Mensch ist gleich viel wert. Egal ob er das eine macht oder das andere. Der eine könnte ohne den anderen gar nicht sein.

Wir sind gleich-wertig. Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es in unserem Grundgesetz. Und genau das ist es was wir auch für verinnerlichen müssen. In der heutigen Gesellschaft beginnt man wieder die Menschen in Klassen zu teilen, und zu sagen der eine ist mehr wert als der andere. Und das mit Fadenscheinigen Begründungen, der Herkunft, der Religion und anderen Dingen. Aber das ist falsch, absolut falsch. Schneiden wir uns in den Finger dann bluten wir alle in der gleichen Farbe, Blutrot. Genau aus dieser Würde heraus steht uns vieles zu, ohne dass wir etwas dafür leisten müssen.

Es gibt immer wieder interessante Diskussionen, wie das dann mit dem Respekt sei. Denn den könne man ja zum einen verlieren und zum anderen müsse man ihn erst gewinnen.

Beides Aspekte, die sehr weit verbreitete Gedankenansätze sind. Da kommt es wohl darauf an, was man unter Respekt versteht und wie man ihn definiert. Wenn man beim Menschen an sich angelangt ist, dann sind wir wieder bei der Würde jedes einzelnen die respektiert gehört. Was steht dir zu, ohne dass du dafür etwas leisten muss? Beschäftigt man sich länger mit dieser Frage, erkennt man sehr klar, was man über sich selber denkt. Welchen Respekt man sich selber entgegenbringt, was für einen Wert man sich selber gibt.

Gibt es Grenzen? Es gibt Menschen, die sich sehr viel gefallen lassen. Von außen betrachtet ist das zum Teil sehr schmerzlich, beobachten zu müssen, wie sehr jemand auf sich herum trampeln lässt. Sei es verbal, durch Mobbing oder sogar körperliche Gewalt.

Wir haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das ist im Grundgesetz verankert. Wir haben ein Recht darauf. Es steht uns zu, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Und daran hat niemand zu rütteln, auch wenn so mancher denkt es wäre falsch, nein ist es nicht, im Gegenteil. Denken wir dies weiter. Wenn wir Menschen erleben, ei sich viel zu viel gefallen lassen und das ihr Selbstbild wiederspiegelt, dann muss das wohl heißen, das s sie sich dieses Rechts selbst nicht geben. Sie geben sich nicht die Würde, die ihnen durch ihr Menschsein zusteht. Wer nun so jemandem den Rat gibt.  “Lass dir doch nicht alles gefallen, Wehr dich doch mal, lass dich nicht so behandeln.” Wird oft erleben, dass sich nichts ändern. Entgegen jedem guten Rat bleiben viele Menschen in Situationen, in denen ihre Würde mit Füßen getreten wird, so wie sie sind. Obwohl ihnen zusteht, dass ihr Recht gewahrt wird. Wieso ist das so? Auch wenn es scheint, als ob viele Sachzwänge und äußere Situationen dieses Bleiben erzwingen, spielen oft ganz andere, innerliche Gründe eine Rolle.

Warum lassen wir uns unseren Wert nehmen? Wer sich sehr schwer tut diese Frage zu beantworten, denkt über sich selbst als nicht besonders wertvoll. Das Ende vom Lied ist häufig, dass jemand über sich denkt, dass er das Schlechte im Leben verdient hat. Das bestätigt sich dann immer wieder im Leben, da eine gewisse Opferrolle nach außen dringt und wahrgenommen wird. Das verleitet Menschen dazu genau darauf zu reagieren. Alles in allem ein innerlicher Cocktail, der nicht gerade Freude macht.

Doch wo kommt das her und warum ist das so?  Nun, letztlich ist das alles ein Denken und Fühlen in uns selbst. Unser Hirn formt diese Gedanken und diese Weltsicht. Der Ursprung liegt am Anfang… Wenn wir nun weiter schauen, woher unser Hirn die Grundlage für diese Art der Einschätzungen nimmt, dann werden wir nicht umhinkommen, uns wiedermal bis in die Kindheit zu bewegen. Dort finden nun mal die prägendsten Jahre statt. Noch dazu die unbewussten Prägungen, da wir an der Anfangszeit unseres Lebens noch keine klaren Gedanken wie heute fassen können und damit eine ganz andere Grundlage für unser Verhalten benutzen. Wissenschaftlich ist bewiesen das Babys sehr gut beobachten können und das Verhalten von Menschen imitieren und nachmachen. Wir sind als Babys Meisterbeobachter. Vom Verhalten der Menschen die uns umgeben, denn von diesen hängt unser Wohlbefinden und unser Leben ab. Daher ist es dramatisch wichtig für uns zu erfassen, wie diese Menschen mit uns umgehen und auf uns reagieren. Je mehr negative Erlebnisse wir haben, wenn wir uns mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln ausdrücken, umso mehr werden wir dieses Verhalten auf uns beziehen. Denn über Gründe, Überforderungen etc. kann ein Baby noch nicht reflektieren. Es kennt nur die Reaktion, die auf das eigene Verhalten erfolgt. Wenn dieses Verhalten unberechenbar ist, so dass vollkommen unvorhergesehen Ausbrüche erfolgen, dann wird es ganz heikel. Dann ist das System, das eigentlich in uns dazu da ist, Gefahr zu orten, praktisch ständig auf Hochspannung und wir kommen kaum zur Ruhe innerlich. Setzt sich das in Kindergarten, Schule und Ausbildung fort und haben diese Menschen nicht das Glück in Umgebungen zu kommen, in denen Menschen in ihrem Verhalten berechenbarer sind und normal mit ihnen umgehen, wird sich dieses Denken noch mehr manifestieren.

Wer dagegen das Glück hat, in seinem Kinderleben eine stabile Bezugsperson zu haben, die verlässlich ist und von der keine Gefahr ausgeht, dann kann hier ein weiteres Bild geschaffen werden und es besteht zumindest schon eine zweite Varianz, mit der Menschen betrachtet und eingeteilt werden können. Das eigene Selbstbild profitiert davon, da in einem guten Kontakt auch das eigene Denken über einen selbst eine neue Wendung nehmen kann. Im besten Fall wird das unterstützt. Mit diesem Ausflug in unserer Vergangenheit soll uns klar werden, dass das Verhalten und Denken über uns selbst, das wir heute haben, in vielen Jahren geprägt und entstanden ist.

Es bedeutet nicht, dass es unveränderbar ist, es heißt nur, dass mir erst einmal klar werden muss, wie ich tatsächlich über mich denke. Viele Menschen verzweifeln daran, dass sie es scheinbar nicht schaffen, Situationen auf Dauer zu entfliehen, die ihnen nicht gut tun. Sie versuchen es, doch es gelingt ihnen nicht. Das ist ähnlich wie bei einem Suchtverhalten, das einen immer wieder in die schlechte Angewohnheit zurückzieht.

Doch was dabei tatsächlich eine Rolle spielt, ist das Denken über einen selbst. Wenn wir jemandem das Denken “ich bin es wert und verdiene es, dass man normal mit mir spricht” einimpfen könnten, dann würden wir eine absolute Veränderung im Verhalten dieser Person erleben können. Denn jemand der denkt, dass es ihm zusteht, dass man normal mit ihm spricht, wird das einfordern. Oder sich entscheiden, diese Situationen zu verlassen oder eine andere Lösung finden. Niemand der ein gutes Selbstwertgefühl hat – ein Gefühl dessen, dass er eine unantastbare Würde und Wert als Mensch hat – wird es auf Dauer hinnehmen, wenn das mit Füßen getreten wird. Das hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit einer gesunden Selbstwahrnehmung und -einschätzung. Doch solange sich jemand mit diesem Gedanken schwertut, dass ihm etwas zusteht, ohne dass er etwas dafür machen muss, wird er diesen Grad der Verhaltensänderung nur schwer erreichen.

Oft sichtbar wird das manchmal daran, dass zb. Für jemanden in der Arbeit die Grenze dermaßen überschritten wurde, dass er endlich aufsteht und mal sagt, dass er das nicht in Ordnung findet. Das ist im ersten Moment eine Erleichterung das endlich mal ausgesprochen zu haben, doch im nächsten setzt schon das schlechte Gewissen ein. Was könnten die anderen jetzt über einen denken, wie werden sie zukünftig auf mich reagieren, was habe ich da nur gesagt, das hat mir ja gar nicht zugestanden. Und wie wird der Chef darauf reagieren, wird er mich Kündigen. Viele dieser Gedanken gehen einem dann kurzfristig durch den Kopf. All das sind Zeichen dafür, dass das innere Selbstwertgefühl nicht stabil genug ist, um eine Konfrontation auszuhalten und dabei heil zu bleiben.

Es ist ebenfalls ein Signal für Abhängigkeiten von den Meinungen anderer um die eigene Person als wertvoll und schätzenswert einzustufen. Selbstverständlich sind wir soziale Wesen und wir brauchen Kontakte und Austausch. Das liegt in unserer Natur. Doch was wir brauchen, damit das in einer gesunden Art und Weise geschehen kann, ist ein stabiles Selbstwertgefühl, das sicherstellt, dass wir über uns selbst als jemanden der wertvoll ist und Würde hat denken.

Wir können uns das vorstellen wie einen Baum, der sich in der Erde verwurzelt hat und auch einem größeren Sturm standhalten kann. Es mag seine Äste zerzausen und ihn hin und her schwanken lassen, doch seine Wurzeln können ihn gut festhalten und nach dem Sturm steht er weiterhin sicher auf seinem Platz. Jemand der kein stabiles Selbstwertgefühl hat, wird sich erleben als jemand, der bildlich gesprochen umfällt, wenn ein Sturm in Form von anderen kommt, dessen Baum umknickt, weil seine Wurzeln nicht tief genug reichen um ihn gut halten zu können. Hier kommen wir wieder zu der Frage, Was steht mir zu, ohne dass ich eine Gegenleistung erbringen muss? Haben wir bei dieser Frage immer noch Schwierigkeiten zu antworten, dann sollten wir uns auf die Reise machen und unser Selbstwertgefühl stärken lernen.

Man muss einen eigenen Wert lernen zu erkennen. Denn daraus speist sich unser Umgang mit der Welt und unser Umgang mit uns. Jemand der ein gesundes und verwurzeltes Selbstwertgefühl hat, wird auch seine Schwierigkeiten haben mit der Welt, großer Kummer kann ihn auch umwerfen, doch er wird die Fähigkeit haben, sich wieder zu berappeln und aufzurichten. Diese Resilienz, diese Widerstandskraft lässt sich lernen. Dabei spielt die eigene Wertschätzung eine große Rolle. Diese Wertschätzung die nichts damit zu tun hat, was wir schon alles erreicht haben im Leben. Es geht nicht um finanzielle Reichtümer, berufliche Erfolge oder sonstige äußere Errungenschaften. Es geht um das Denken über einen selbst. Über sich als Mensch. Über den eigenen Wert. Über die eigene Würde. Ein Beobachten und Wahrnehmen dessen, was in diesen Dingen tatsächlich über mich denke. Wo ich mich abwerte, wo ich mich nicht annehme, wo ich mich unterordne und meine Rechte nicht wahre. Die Wahrnehmung ist immer der erste Schritt. Nur was man erkennt, kann man ändern. Nicht über sich selbst richten, nur wahrnehmen.

Es ist keine Schwäche sich dabei Hilfe zu suchen. Im Gegenteil, ist es ein Zeichen von Stärke sich das zuzugestehen, dass man Hilfe braucht und sie sucht.

Wir sollten immer daran denken, dass alle Menschen gleich sind. Und die Würde eines Menschen ist unantastbar. Einfach eine Zeitlang darüber nachdenken, über diese Tatsache und der Frage, was einem zusteht ohne Gegenleistung, dabei sich selber beobachten und welche Gedanken dann dabei entstehen und aus dem inneren aufsteigen.

Jeder kann sich einen stabilen Baum im inneren schaffen. Es mag nicht immer ganz einfach sein, sich auf diesen Weg zu begeben und darauf einzulassen und letztlich hört das auch nie wirklich auf, sich zu verändern, doch es ist unbestreitbar, dass ein Leben mit einem stabilen Selbstwertgefühl ein einfacheres Leben ist. Auch das steht uns zu. Dass wir ein Leben führen, das einfach zu bewältigen ist. Wir sind nicht dazu geboren nur im Drama zu leben, auch wenn das manchmal so aussehen mag. Wir sind dazu geboren um ein gutes Leben zu haben. Eines in dem wir gut zurechtkommen und auch jedem anderen Menschen seine Würde lassen, so wie es auch uns zusteht.

Ich habe länger darüber Nachgedacht bevor ich diese Zeilen geschrieben habe. Es hat auch einen besonderen Grund. Der Grund ist mein Vater, er war zu uns Kindern immer gut, hat vieles für uns gemacht, hat sich aufgeopfert. Doch eines hat er in meinem Fall immer getan, er hat mich nicht für vollwertig erachtet. Meine Sehbehinderung hatte für ihn immer den Nimbus der Behinderung, der Einschränkung. Dies hat mich immer gebremst, mir auch das Selbstwertgefühl genommen, oft habe ich selber darüber nachgedacht warum bin ich Behindert. Es hat sehr lange gedauert bis ich dies überwunden hatte und meinen Weg gegangen bin. Als ich mich vor rund 20 Jahren selbständig gemacht habe, musste ich von meinem Vater hören. Das ich das nicht kann und das ich das nicht schaffen würde, wegen meiner Sehschwäche. Und ich habe es trotzdem gemacht. Jetzt wo mein Vater von Demenz betroffen ist kommen natürlich diese Dinge verstärkt zum Vorschein und immer, wenn wir uns sehen höre ich seine Vorwürfe und seine Herabwürdigungen, teils Beschimpfungen. Doch ich habe mich damit abgefunden, denn mein innerer Baum ist stärker, er gibt mir den nötigen halt nicht umzufallen im ersten starken Wind. Ich hasse meinen Vater nicht dafür was er gesagt hat und sagen wird, im Gegenteil ich liebe ihn immer noch. Und das wird sich auch nicht ändern. Es gab viele Momente in meinem Leben die mich zweifeln ließen, aber sie haben mich dann auch ein wenig stärker gemacht, sonst wäre ich heute nicht da wo ich stehe.


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