Jeder hat eine. Sie hat uns zur Welt gebracht. Manchmal
endet hier die Geschichte, meistens aber geht sie weiter. Sie hat unsere
Windeln gewechselt, uns gewiegt, uns immer Essen gegeben. Sie hat uns
getröstet, uns verteidigt, uns vorgelesen, uns überrascht. Sie war für uns da.
Und manchmal war sie es nicht. Sie hat geschimpft, uns nicht verstanden, uns
Angst gemacht, uns allein gelassen. Wir haben sie geliebt und gehasst. Unsere
Mama. Die Frau, die uns geboren hat. Nie war uns ein Mensch vertrauter und fremder
zugleich. Als Kinder mussten wir uns auf sie verlassen. Für die Buben war sie
die erste Frau in ihrem Leben. Für die Mädels das erste weibliche Vorbild. Und
später… Da wurde sie zur Vertrauten, zur Rivalin – zu der Frau, von der man
sich unbedingt abnabeln musste und gleichzeitig Angst um den möglichen Verlust
der Verbundenheit hatte.
Du bleibst immer unsere Mama – wir bleiben immer Dein Kind.
Daran ändert nichts etwas. Ob wir nun jeden Sonntag Kaffee trinken und Kuchen
zusammen essen, ob wir jedes Jahr einmal in Urlaub miteinander fahren, ob wir
zweimal die Woche miteinander telefonieren. Oder ob wir seit Jahren nicht mehr
miteinander gesprochen haben und uns doch so viele Worte im Hals stecken, ob
wir uns kaum sehen, weil sich die Lebenswege auch geografisch so weit
voneinander entfernt haben, ob wir uns immer nur an den besonderen Tagen im
Jahr sehen und wir auch dann nur ein Pflichtbesuchsgefühl empfinden. Du bist
und bleibst unsere Mama. Und selbst dann, wenn Du nicht mehr bist, bleibt das
so.
Wir haben ein schlechtes Gewissen, weil wir so grausam
waren, als wir uns in der Pubertät selbst nicht ausstehen konnten. Uns plagt
ein ungutes Gefühl, weil Du uns immer so viel gegeben hast, weil Du egal was
wir machten immer für uns da warst, ob mit Essen, Zeit oder Liebe. Und weil wir
nie so viel zurückgeben können. Manchmal haben wir uns auch gar nicht darum
bemüht und alles als selbstverständlich betrachtet, was es ja auch irgendwo
war. Es drückt uns, weil wir Dich immer nur als Mama gesehen haben, nicht als
Frau, die auch ein Leben abgesehen von uns hat. Mit Bedürfnissen,
Fehlerhaftigkeiten und Versagensängsten. Weil auch Du nicht der übermächtige
Fels in der Brandung sein konntest, so ist das Leben einfach nicht. Das Leben
wirft uns alle auf den Wellen hin und her. Auch Dich, unsere Mama. Das haben
wir oft nicht verstanden.
Wir sind älter geworden, haben gelernt zu verstehen wie es
ist selber Eltern zu sein. Früher sagten wir oft Worte die unsere Mutter
vielleicht verletzten. Heute würden wir solche Worte nicht mehr sagen, nein wir
hören sie selber von unseren Kindern. Und trotzdem lieben wir sie, weil wir
wissen welche Kraft und stärke unsere Mutter für uns aufgebracht hat.
Und jetzt ist also Muttertag. Was fangen wir damit an…
Kramen wir alte Fotos hervor und staunen wir vielleicht gemeinsam mit einem
wehmütigen Schaudern, wie schnell die Zeit vergeht? Sind wir vielleicht
mittlerweile selbst Mama oder Papa und verstehen, wie emotional gebeutelt man
als Eltern sein kann? Sitzen wir mit unserer Mama zusammen, essen Erdbeerkuchen
mit Schlagobers und trinken Kaffee? Überbringen wir ein Geschenk? Schmuck,
Pralinen, Blumen? Ein selbstgemaltes Bild, ein handgeschriebener Brief, eine
wiederentdeckte Sammlung an Zeichnungen aus der Kindheit? Rufen wir kurz an
oder erlauben wir uns einen kurzen Gedanken an Mama, um dann nur wieder Zeit
verstreichen zu lassen, in der wir uns nicht melden? Oder nutzen wir die Zeit, zu
Lebzeiten, um zu reden. Um zu sagen: Mama, ich habe heute den ganzen Tag Zeit,
lass uns was Schönes machen oder einfach nur zusammensitzen und plaudern. Und
noch was, Mama: Danke. Ich habe Dich lieb.

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