Sekunden

Langsam, ganz langsam schließe ich meine Augen

Schon stürze ich hinein, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung. Hinein in das unendliche Meer meiner Gedanken. Von allen Seiten drängen sie wie wild auf mich ein, schreien und kreischend. Erinnerungen, unerfüllte Hoffnungen, Träume, Wünsche, Fantasien.

Sie sind wie die nie enden wollenden Wellen an der Küste, die mit tosendem Lärm stetig an den Felsen brechen. Wassertropfen fallen herab wie einzelne Buchstaben und Wörter die spritzen und kalt in mein Gesicht treffen, der Sand unten meinen Füssen ist aufgewühlt. Meine Sicht ist verschwommen, verwischt von all den Eindrücken, den Gefühlen.

Oft zu viel.

Zu viel auf einmal.

Zu viele Emotionen, die mein Herz fühlen muss.

Zu viele Bilder, die meine Augen aufnehmen müssen.

Ich werde mitgerissen von den Strömungen, die unter der Oberfläche der tobenden See lauern und unbemerkt die Tiefe beherrschen. Die man erst sieht, wenn es bereits zu spät ist und man sich nicht mehr befreien kann. Es ist eine kalte Hand der Gefühle die an mir zerrt.

Erfolglos versuche ich, mich aus dem Strudel von Gedanken und Fantasien zu befreien. Wie ein Ertrinkender halte ich mich an allem fest, was mir zwischen die Finger kommt.

Wo bleibt die Erlösung? Gibt es überhaupt eine Erlösung?

Ich möchte zur Ruhe kommen, meinen eigenen Gedanken entfliehen. Doch sie wirbeln weiter in meinem Kopf herum, als hätten sie ein Recht darauf, wie ein Tsunami aus Wörtern und Sätzen die plötzlich über mich herfallen und mich überrollen. Als hätten sie ein Recht darauf, sich als ein gewaltiges Unwetter mit Blitzen die so stark sind das sie alles verbrennen, bestehend aus Gedankenfetzen, die sich in meinen Gehirnwindungen entladen.
Schon längst habe ich den Überblick verloren. Wo auch immer ich hinblicke, ich sehe immer das gleiche endlose Blau des Ozeans in meinen Gedanken.

Ich kann nicht mehr sagen, wo oben oder unten ist.

Auch kann ich nicht mehr sagen, wo links oder rechts ist.

Alles was ich möchte ist, raus. Raus aus diesem Gedankenstrom, der mich mit seinen kalten Händen erbarmungslos gefangen hält. Raus aus dem Gedankenstrudel, der mich unaufhaltsam durch das Wasser schleudert und mir das Gefühl gibt zu ertrinken. Mir das Gefühl gibt, dabei all die vergessenen Erlebnisse wieder an die Oberfläche zu spülen.

Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Eine viel zu lange Ewigkeit. Eine Ewigkeit die länger dauert als das gesamte Universum alt ist.

Doch schließlich, langsam, ganz langsam merke ich, wie sich die Flut zurückzieht. Der Sand fällt zurück auf den Boden, die Strömung lässt langsam nach und ich kann wieder klar sehen. Meine Gedanken ordnen sich wieder zurück in die bekannten Schubladen, in die ich sie vor langer Zeit gesteckt habe. Sie flüchten sich wieder in die hintersten Ecken meiner Erinnerungen, in die ich sie verdrängt habe.

Ich bin wieder Herr meiner eigenen Gedanken, und Gefühle. Ich bin König über mich selbst.

Das Einzige, das zurückgeblieben ist, ist die Entschlossenheit.

Langsam, ganz langsam öffnet ich wieder meine Augen.

Dort stehe ich, genauso wie auch die Sekunden zuvor. Einige Sekunden sind vergangen, in denen meine Augen geschlossen waren und das Meer meiner Gedanken mich beinahe zum Ertrinken gebracht hätte. Und alles nur wegen ein paar Gefühlen die wieder nach vorne gedrängt hatten, Erinnerungen die immer noch so lebendig in mir drinnen sind. Ich Blicke in den Spiegel und sehe mich, sehe mich so wie ich bin, als der der ich bin. Ich sehe einen Menschen der auch weiterhin durch die Welt streift um sich wiederzufinden, aber es ist gut so. Es wird auch gut werden, vielleicht nicht so schnell wie ich es mir wünschen würde aber irgendwann und irgendwo dort draußen.

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