Ich laufe jeden
Tag mindestens einmal an ihm vorbei. An dem Spiegel im Flur. Der Blick in den
Spiegel wirft für mich immer wieder neue Fragen auf. Ist der Typ den ich da
sehe noch der Typ von damals? Was wird wohl irgendwann aus dieser Person, die
immer das gleiche wie ich macht?
Für viele von uns
ist ein Spiegel etwas, vor dem wir unser halbes Leben verbringen könnten.
Stundenlanges anmalen und das Zupfen in den Haaren bis auch alles sitzt,
gehören schon zum Alltag dazu, wie das Schuhe anziehen. Wenn die Person dort
nicht perfekt aussieht, dann muss etwas geändert werden. Ein anderes Outfit
muss her oder die Frisur muss noch einmal komplett anders gestylt werden. Wenn
einem schon selbst die Person im Spiegel nicht gefällt, wie soll sie dann
anderen Menschen gefallen? Das Aussehen wird noch einmal überdacht und so geht
das halbe Leben vorbei und was wurde erlebt? Nicht wirklich viel?
Dann gibt es noch
andere Menschen. Für sie ist ein Spiegel mehr als nur ein Instrument. Für sie
ist es vielmehr eine Reise in verschiedene Zeiten. Sie sehen den Menschen dort stehen
und stellen sie so viele Fragen, dabei vergessen sie das fertigmachen total. An
ihnen zieht auch ein halbes Leben vorbei, aber in Form eines Films, einer
Geschichte. Sie sehen nicht nur einen Menschen, der auf sein Aussehen achtet
und sich ständig verändert, sondern sie sehen einen Weg, auf dem sich dieser
Mensch befindet.
Wenn ich am
Spiegel vorbeilaufe und einen Blick in ihn werfe, bleibe ich oft stehen. Ob die
Haare noch richtig sitzen oder das Hemd Falten geschlagen hat, ist dabei in der
Regel unwichtig. Für Außenstehende sieht das oft seltsam aus, weil ich einfach
„nur starre“, aber würden sie sehen was ich sehe, dann würden sie es vielleicht
verstehen. Ich sehe mich, wie ich jetzt gerade vor dem Spiegel stehe – dann
denke ich darüber nach ob ich gut aussehe – und dann öffnet sich eine Tür.
Durch diese Tür sehe ich wieder mich, aber einen anderen. Ich sehe mich aus der
Vergangenheit und das Leben, das ich bisher geführt habe. Dann sehe ich wieder mich,
wie ich just in diesem Moment einen Blick in den Spiegel wage. Wie ich heute bin
und die Dinge, die ich im Alltag mache. Dann sehe ich noch verschwommen eine
Person, die ich vielleicht mal sein könnte. Einen Menschen, den ich nicht klar
erkennen kann. Ich wandere durch die Welten meiner Gedanken und Träume, und Vorstellungen.
Ich sehe einen
Menschen, für den die Freiheit das wichtigste Gut war und ist und der sich von
niemanden hat einen Weg vorgeben lassen. Einen Mann, der vielleicht ein kleiner
Chaot war und dennoch seine Prinzipien hatte. Ich sehe einen Menschen, dem es
egal war, wer was über ihn gedacht hat und der trotzdem immer für seine Freunde
da war. Zugegeben er hat viele Dinge nicht immer richtig gemacht und auch heute
hat er ich noch Schwierigkeiten immer das richtige zu tun. Das lange Verweilen
an einem Ort kam für ihn nicht in Frage, er wollte seinen Weg gehen und ist ihn
gegangen. Für ihn war die Kreativität der rote Faden in seinem Leben und ohne
diese konnte er nicht leben. Hätte man ihm damals gesagt, dass er sie
irgendwann einmal vernachlässigen würde, hätte er einen wahrscheinlich nur
ausgelacht. Ich sehe einen Menschen, ohne den es mich heute nicht so geben
würde. Und auch wenn ich manchmal bei dem Blick in den Spiegel das Bedürfnis
habe ihn zu hauen, bin ich froh, dass es ihn so gegeben hat.
Da steht er. Der Mann,
der ich heute bin. Ein geschiedener Mann, der dem Ich von damals nicht mehr
gleiche. Ich sehe einen Menschen, der dem von damals nicht mehr gleicht. Es hat
sich vieles verändert. Die Kreativität wurde nach hinten gestellt, um den
Menschen in meinem Umfeld nicht vor den Kopf zu stoßen. Das Kind in mir scheint
sich langsam zu verabschieden, jedoch versuche ich nach ihm zu greifen, damit
es nicht verschwindet. Für das Schreiben ist heute im Alltag weniger Zeit, aber
ich versuche es nicht zu vernachlässigen. Der Freigeist scheint in dem Spiegel
gefangen zu sein und vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis dieser
zerbricht. Ich stelle mir die Frage, ob ich wirklich diese Person bin, die mich
just in diesem Augenblick ansieht.
Die andere Person
kann ich nicht klar erkennen. Ich kann nur verschwommen eine Silhouette sehen
und weiß nicht, wer sich dahinter verbirgt. Ich kenne seinen Weg nicht und habe
auch keinen Schimmer, wie sein Leben aussieht. Ob er noch schreibt, kann ich
nicht sagen – jedoch hoffe ich es inständig – und auch ob er ein glücklicher
Mensch ist, kann ich nicht beantworten. Ich stelle mir die Frage, was ich noch
alles erleben werde, bis diese Person klar und deutlich vor mir steht. Was wird
dieser Mensch wohl für ein Leben führen? Ich kann nicht einmal erahnen wie
lange es dauern wird, bis ich diese Person klar erkennen kann.
Für mich hat sich
der Blick in den Spiegel nach einer Ewigkeit angefühlt. In Wahrheit war es
jedoch nur eine Minute. Eine Minute, in der ich auf einer Reise war, die mich
durch Jahre geführt hat. Würde jemand neben mir stehen würde er mich vielleicht
fragen was ich gesehen hätte, ich würde es nicht erklären, denn er würde es nicht
verstehen. Viel zu sehr bin ich Gefangener meines selbst. Nur der Blick in den
Spiegel holt mich aus dieser Welt zeitweise heraus.
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