Der Tod

Wir werden alle sterben – doch das verdrängen wir gern, lenken uns davon ab. Dabei findet das Leben im Moment statt. Wie wäre es zur Abwechslung also mal damit, todesmutig der eigenen Sterblichkeit ins Auge zu blicken?

In der vergangenen Zeit sind viele geliebte Menschen von dieser Welt gegangen. Sie lagen mir sehr am Herzen. Und obwohl die Trauer, selbst nach vielen Jahren, noch bleischwer, tief und schmerzvoll ist. Ist irgendwo weit hinten ein kleines winziges Neutron auch ein wenig erleichtert, selbst noch nicht von dieser Welt gegangen zu sein.

Jeder Augenblick im Leben ist ein Schritt zum Tode hin.
Pierre Corneille

Obwohl ich den Tod, vielleicht auch weil ich ihn so oft erlebt habe, fürchte, so sehr bin ich ihm auch dankbar. Dafür, dass er meinem Leben eine Schärfe gegeben hat um das Leben mit einer anderen Perspektive zu sehen und mich immer daran zu erinnern was es bedeutet nicht mehr auf der Welt zu sein. Das Leben findet in diesem Augenblick statt. Nicht damals, gestern oder nächste Woche. Nein hier und jetzt.

Ich neige, wie wahrscheinlich viele Menschen, trotz besseren Wissens dazu, Dinge die ich nicht als wichtig erachte auf später zu verschieben. Was aber, wenn mir die Zeit davonläuft und es ein später gar nicht gibt? Mein Großvater hat immer hart gearbeitet, hat den ersten Weltkrieg miterlebt und den Zweiten, er hat immer fleißig gespart was er konnte und sich wenig gegönnt. Nur für uns Kinder hatte er immer ein paar Münzen übrig. Dann verstarb er und was hatte er von seinem ersparten, im Grunde genommen nichts. Meine Tochter erblickte das Licht der Welt, ich war der glücklichste Mensch auf der Welt, ich nahm mir soviel vor was ich mit ihr später erleben wollte, und was geschah, einige Monate später starb sie. Es macht keinen Sinn zu weit in die Zukunft zu planen, den morgen kann es schon vorbei sein.

And there is only one thing we say to Death: ‘not today‘.
George R. R. Martin

Wir glauben, wir hätten ewig Zeit. Dafür, mal den höchsten Berg der Welt zu erklimmen, oder zum Frühstück einen Schweinsbraten zu Essen. Vielleicht auch einen alten Freund wiederzusehen. Ans Meer zu fahren und einfach Nackt Baden zu gehen. Oder einfach jemanden um Entschuldigung zu bitten für etwas das vor vielen vielen Jahren passiert ist. Wir verdrängen gerne und das ist menschlich und oft verständlich, durch die permanente Beschäftigung mit der eigenen Unzulänglichkeit und der Vergänglichkeit des Lebens. Doch ist dies nicht wirklich Gesund, sondern auszehrend und anstrengend. So jedenfalls schon einige mal auch bei mir. So einiges hat mir bewusst gemacht das mein eigenes Leben endlich ist. Es wird irgendwann enden, zwar nicht heute aber irgendwann.


Irgendwann kommt tatsächlich der Tag, an dem keine Zeit mehr ist. Die entscheidende Frage lautet: Was willst du sehen, wenn du auf dein Leben zurückblickst? Jetzt kannst du deine Geschichte noch um- und weiterschreiben.

Es muss ja nicht gleich der zehnmonatige Segeltörn, die Himalaya-Besteigung, der Halbmarathon. Es muss ja nicht gleich, eine Landung auf dem Mond sein. Oder die Tauchfahrt zum Marianen Graben. Auch nicht das schreiben eines Bestsellers. Es ist nicht das Spektakuläre, Große das uns glücklich macht, es wäre vielleicht erfüllend eines der oben genannten Dinge zu tun, aber nur eine Zeit lang dann beginnt man sich auf das wesentlich zu besinnen.

Nein. Was uns immer wieder aufs Neue glücklich macht, sind die Kleinigkeiten. Dinge, die vielleicht albern wirken mögen, über die sich kaum jemand Gedanken macht. Und die trotzdem große Wirkung entfalten.

Konflikte auflösen und vergeben. Jeder Mensch hat sowohl gute als auch schlechte Anteile in sich, die Welt ist nicht schwarzweiß. Bitterkeit macht das Herz schwer und dunkel und die einzige Person, die das spürt und darunter leidet, ist man selber. Warum also kostbare Lebenszeit mit damit verschwenden auf irgendwas oder jemanden Groll zu haben.


Einfacher leben. Was brauchst du wirklich und was auch nicht? Ungelesene Bücher und ungetragene Muss man im Leben auf alles hinarbeiten was einem suggeriert wird. Wäre einfacher Leben nicht auch eine Möglichkeit. Was braucht man wirklich? Ungelesene Bücher und ungetragene Kleidung kann man verkaufen oder weiterschenken, das befreit. All die Dinge, die Platz wegnehmen und einen keine Freude mehr bereiten. Das kann man loswerden und tief durchatmen, wenn die Zeit gekommen ist kann man mit diesen Dingen so oder so nichts mehr anfange, den mitnehmen kann man sie nicht. Doch den Gedanken etwas gutes getan zu haben den behält man in sich und in seinem Herzen.

Einfach ein Leben führen das ohne große Erwartungen an sich selber gestellt ist, macht es vielleicht leichter. Jemanden den man lange nicht gesehen hat wieder treffen und umarmen. Wie das ist weiß ich aus eigener trauriger Erfahrung, wenn man jemanden lange nicht gesehen hat und dann erfährt das er gestorben ist, dabei hatte ich noch vor ein treffen zu vereinbaren.

Um Hilfe bitten. Es ist kein Zeichen von Schwäche, Schwäche zuzugeben – im Gegenteil. Das Leben ist mitunter verdammt hart und ungerecht. Niemand kann oder muss das immer alles allein bewältigen.


Einmal innehalten und die Augen öffnen. Sich vielleicht einmal in der eigenen Stadt umsehen, nicht die Gedanken in die Ferne schweifen lassen. Vielleicht auch mal in der direkten Nachbarschaft genauer hinsehen. Was sieht man genau in diesem Moment?

Personen sehen wirklich ihr Leben, bevor sie sterben. Den entsprechenden Vorgang bezeichnet man als Leben.
Gevatter Tod/ Terry Pratchett

Also alles, was einen neugierig macht, was das Herz bewegt, jene Abenteuerlust die einen kitzelt oder Freude bereitet, einfach machen. Es mag pathetisch klingen, aber das Leben ist eine Aneinanderreihung von Augenblicken. Der Moment ist alles, was wir haben und der einzige Ort, an dem wir wirklich existieren. Es gibt keine Matrix wo wir neu geladen werden, wenn die Software abstürzt. Wir leben auch nicht in der Vergangenheit und auch nicht in der Zukunft. Nein wir leben jetzt.

Und irgendwann wird die letzte Seite vollgeschrieben sein. Irgendwann müssen wir alle gehen. Auch ich.

Kommentare