Hals über Kopf. Wohin? Wohin genau? Das weiß ich nicht.
6: 30 Uhr. Mein Wecker klingelt. Ich öffne die Augen.
Montagmorgen. Ich bleibe noch fünf Minuten liegen, dann setzte ich mich langsam
auf, greife nach meiner Brille und setzte sie auf. Ich stehe auf und gehe ins
Bad. Zähneputzen, Anziehen, aufs Klo gehen, Bürsten, ein bisschen Aftershave
rauf. Dann ab in die Küche noch einen Kaffee und ein Brot mit Butter und Schnittlauch.
So wie jeden Tag muss ich nicht rennen, um rechtzeitig zum
Bus zu kommen, meistens bin ich so oder so zu früh dran. Also mache ich mich
auf den Weg, steige in den Bus, das laute Piepen ertönt, das rote Licht blinkt
und die Türen schließen sich. Ich schaue mich um, wieder so ein morgen wo kein
freier Sitzplatz vorhanden ist, so wie meistens.
Ich lehne mich an die Wand und lasse meinen Blick über die
Fahrgäste schweifen. Die Menschen sind auch die gleichen wie jeden Tag. Einige
von ihnen lächeln und zwinkern mir freundlich zu. Da ist zum Beispiel die
ältere Dame am Fenster, die nach frisch gebackenen Keksen riecht und die jeden
Tag denselben grünen Hut so schief auf ihren grauen Haaren sitzen hat, dass man
nur darauf wartet, dass er runterfällt. Aber irgendwie hält er.
Neben ihr sitzt ein junger Mann. Auch ihn sehe ich jeden
Tag. Er sieht auch genauso aus wie immer. Schwarzer Anzug, schwarze
Computertasche, braune Haare mit so viel Gel, dass sie aussehen, als hätte er
sie mit Kleister an seinen Kopf geklebt. Wie immer riecht er, als wäre er zu
lange in der Parfümabteilung im DM gewesen. Ich kennen ihn, er war einmal im Fernsehen gewesen, ein Selbstdarsteller, einer der glaubt er sei der tollste Hecht in der ganzen Stadt. Bis zu dem Tag wo sich keiner mehr für ihn interessiert.
Vor ihm sitzt eine Mutter mit ihren zwei Kindern. Sechs oder
sieben Jahre alt. Blau gefärbte Haare und die Gesichter voller Sommersprossen.
Zwei Buben. Zwillinge. Eineiig? Nein, wohl eher nicht. Der eine sitzt ruhig da
und schaut aus dem Fenster. Der andere denkt gar nicht daran, sich hinzusetzen,
geschweige denn ruhig zu sein. Die Mutter hat alle Mühe ihn bei sich zu halten.
Alles so wie immer. Alles? Nein, irgendetwas ist anders. Ich
schaue mich um. Die ältere Dame hat nun ein Gespräch mit dem jungen Mann
angefangen. Der Zwilling am Fenster hat die Augen geschlossen und den Kopf an
die Scheibe gelehnt. Seine Mutter ist gerade damit beschäftigt, seinen Bruder
davon abzuhalten, die Tür zur Fahrerkabine zu öffnen und hineinzuspringen. Auch
die anderen Fahrgäste gehen ihren Beschäftigungen weiter nach. Einige schauen
in Ihr Handy einer liest angestrengt eine gratis Tageszeitung.
In der Arbeit die ich mache ist alles wie immer. Das eine
oder andere Problem für die Kunde lösen. Bei einer das Mail Problem in Ordnung
bringen. Bei einer anderen ihr erklären wie das Handy funktioniert. Es ist wie
immer.
Nach der Arbeit gehe ich nach Hause. Alleine. So wie immer.
Es hat zu regnen begonnen. Na klar. Was sonst. Ich habe natürlich wieder keinen
Regenschirm mitgenommen, meine Schuhe sind innerhalb weniger Minuten patschnass.
Alles wie immer. Alles? Nein, irgendetwas ist anders. Kommt
da jemand. Ich drehe mich um. Niemand da. Auch die Straße vor mir ist leer.
Kein Mensch. Nur ich. So wie immer.
Ich will schon weitergehen, als ich ein Piepen höre. Ich
drehe mich zu dem Geräusch um. Da sitzt er. Ganz klein. Ein Vogel, ich glaube
eine Amsel, zumindest glaube ich das es eine ist. Selten sieht man in der Stadt
einen Vogel der so ruhig vor einem sitzt, meistens sind es nur Tauben und
Raben. Es gibt viele von ihnen, hier in der Stadt. Langsam gehe ich auf ihn zu.
Er hüpft ein Stück nach hinten, fliegt aber nicht weg. Ganz langsam gehe ich in
die Knie, bis ich schließlich vor ihm am Boden kauere. Er hat rot-orange
Federn, kurze Beine und schwarze Augen, aus denen er mich neugierig beobachtet.
Er schaut mich an. Ich schaue ihn an. Er neigt kurz den Kopf, so als wollte er
mir zunicken. Dann fliegt er weg.
Ich stehe auf. Mein Gewand ist nass und klebt an meinem
Körper, und mir rinnt Wasser übers Gesicht und in den Kragen hinein. Mir ist
kalt, den der Frühling hat noch nicht richtig Einzug gehalten. Zu Hause mache
ich mir als erstes einen Tee. So wie immer. Alles ist wie immer. Auch der
nächste Tag ist wie immer. Auch der Darauffolgende, und der danach.
Alles ist wie immer. Alles? Nein. Nach der Arbeit gehe ich
nach Hause. Zu Hause mache ich einen Ausbruch aus dem Alltag, aus dem ewigen
Rad des gleich sein. Ich suche etwas. Und ich weiß ganz genau, was ich suche.
Ich finde es, ich halte in den Händen. Meine Zeichen sachen. Schon sehr lange
habe ich sie nicht mehr benutzt. Ich habe sie vor langer Zeit gekauft und dann
einfach beiseitegelegt und einfach vergessen. Aber jetzt brauche ich sie.
Dringend. Sehr dringend. Ich fange an zu malen. Ich male und male.
Das Bild ist fertig. Rot und Orange ist es. Der Vogel. Ich
habe den Vogel gemalt. Ich lächle und male noch ein Bild. Etwas grünes. Ein
Hut. Es ist die Dame aus der Straßenbahn. Ich male weiter. Etwas Rotes. Haare.
Die Zwillinge. Etwas schwarzes. Der Mann im Anzug.
Ich trete einen Schritt zurück und betrachte meine Bilder.
Ich bin zufrieden. Das ist, was mir gefehlt hat. Das fehlende Puzzleteil. Jetzt
ist das Puzzle komplett. Ich bin komplett.
Dieser Tag ist nicht so wie immer. Auch die danach nicht.
Kein Tag ist so wie immer. Jeder Tag ist anders. Jeder Tag ist besonders.
Hals über Kopf. Wohin? Wohin genau? Mitten in die Farben.
Mitten in die Welt.
Alles wie immer? Nein, alles ganz bunt!
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