Es ist ein Morgen wie viele morgen, und doch ist er ein
wenig anders. Ich sitze hier neben mir meine Kaffeetasse und starre einfach auf
den leeren Tisch. Die Gedanken in die Vergangenheit gerichtet. In eine Zeit als
noch vieles ganz anderes war, in eine Zeit als mein Sohn noch klein war. Damals
war die Zeit noch anders, friedlicher, ruhiger. Mein Sohn war damals ungefähr 4
Jahre alt und ein Kind das Millionen fragen hatte.
Meine damalige Ehe, war noch jung und wir waren glücklich, die Ehe hat lange gehalten fast 14 Jahre,
irgendwann später, viele Jahre danach kam der Riss in der Beziehung. Ich hatte ihn versucht eine Zeitlang
zu ignorieren, doch irgendwann begann alles zu Splittern, leise krachend wie
Papier, das man zusammenknüllte, ich wollte es nur nicht hören.
Ich hatte es damals gespürt, es war nicht mehr wie früher,
wir waren nicht mehr so glücklich gewesen wie zu Anfang. Eines Tages kam sie zu
mir und es war alles vorbei. Von einer Minute auf die andere. Die andere Seite
des Bettes war leer gewesen. Ich streifte damals durch die Wohnung, nichts. Niemand
mehr da. Mein Sohn war bei meiner Frau geblieben. Es war eine harte Zeit. Erst
nach ein paar Monaten stand mein Sohn plötzlich mit Koffern vor meiner
Wohnungstür, er war gerade 14 Jahre alt, und bat darum bei mir bleiben zu dürfen. Erst ab da ging es mir
wieder besser.
Fort. Nichts als Fassungslosigkeit, nichts als Stille, außer
mein Herz, das im Rhythmus klopfte. Heute erinnere ich mich an diese Zeit, an
diese Zeit wo niemand da war, ich ganz alleine.
Warum, es ist eine Zeit wo der
Corona Virus dafür sorgt das wir alle zu Hause bleiben sollen, um andere nicht
zu gefährden. Es ist eine Zeit der inneren Einkehr, eine Zeit wo man merkt wie
Einsam man ist. Eine Zeit wo niemand da ist. Ich habe heute dasselbe Gefühl wie
damals. Ich wandere wieder durch die Wohnung, überlege, bleibe stehen. Suche
mir eine Beschäftigung. Arbeiten kann ich nicht gehen, fast alle Kunden haben
abgesagt, und ich würde einen Teil meiner Kunden nicht besuchen, da viele zur
Risikogruppe gehören. Sie sind älter, und schon aus Verantwortung für Sie würde
ich Termine ablehnen. Auch wenn es hart ist. Mein Sohn hat sich auch zurückgezogen
und kommt derzeit nicht auf Besuch, auch er hat Angst in gewisser Weise.
Heute fühle ich mich wie Glas, ich habe Angst, zu
zerspringen.
Da war nichts mehr außer Traurigkeit, dickflüssig ist sie in
mich hineingetropft. Sie ist durch meinen Körper gewandert und blieb in meiner
Brust hängen. Wie lange dauert sie, diese Schwere, frage ich mich immer wieder,
ich will nicht zusammenbrechen, ich darf nicht.
Vieles in den Jahren woran ich geglaubt habe, war in meinen
Händen zerbrochen, es schnitt mir die Finger blutig. Die Scherben knacken noch
immer, wenn ich daran zurückdenke.
Also herrscht Stille rund um mich. In diesen einsamen
Stunden denke ich zurück, denke an damals, an die Dinge die schön waren.
„Papa?“
Die Zimmertür schwang einen Spaltbreit auf, ein Lichtfaden
fiel auf meine Decke. Ich erkannte den Umriss seines kleinen Körpers im
Halbschatten, er stand im Türrahmen. In der linken Hand hielt er seinen
Stoffhasen umklammert, dessen Beine auf den Boden schleiften.
Mein Rücken knackte, als ich mich aufrichtete.
„Benjamin?“
„Papa? Es ist so dunkel.“
Ich hob meine Decke.
„Komm zu mir. Ich bin ja da, mein Schatz.“
Ich hörte Benjamins nackte Füße auf den Boden schmatzen,
dann spürte ich seine Wärme neben mir. Er bettete seinen Kopf auf meinen Brustkorb,
während ich ihm die Locken aus der Stirn strich. Ich spürte, wie Benjamin sich
in meinen Armen entspannte.
„Papa?“
„Ja, mein Schatz?“
„Gibt es heute Sterne?“
Meine Knie drückten sich in die Matratze, als ich mich aufrichtete,
mit einer kurzen Bewegung schob ich den Vorhang neben meinem Bett zur Seite.
Durch das Fenster leuchtete mir der Nachthimmel entgegen.
Ich spürte, wie Benjamins Rücken kurz vor Staunen
erzitterte. Ich schlang meine Arme um seinen weichen Körper und gab ihm einen
Kuss.
Gemeinsam starrten wir in die Dunkelheit.
Ich erinnerte sich vage daran, wie ich als kleiner Junge
unter dem Fenster im Kinderzimmer gelegen war, ich war fasziniert gewesen. Ich
hatte mir vorgestellt, wie ein alter Herr hinter den Sternen vor einer Kugel
saß und mit dem Zirkel Löcher durch die blaue Oberfläche stach und feine
Sternbilder zeichnete.
Ich spürte Benjamins Hand, seine Finger drückten sich warm in
meine Hand. Ich küsste seinen Haaransatz, der milchige Kindergeruch stieg mir
in die Nase.
„Können wir noch … die Sterne anschauen gehen?“
„Draußen?“
Er nickte.
„Aber draußen ist es noch dunkler als hier, weißt du das?“
„Nein, Papa. Du bist ja da.“
Ich musste lächeln.
„Du hast Recht, mein Schatz. Ich bin ja da.“
Meine Wangen brannten, aber es war Dankbarkeit, die salzig
schmeckte.
Ich hatte noch immer Benjamin. Ich war gebrochen worden,
zersplittert, aber jetzt sah ich das Licht durch die Scherben glitzern. Jetzt
sah ich die Sterne.
Genau an damals denke ich als mein Sohn gerade mal 4 Jahre
alt war und wir dann am Balkon saßen in eine Decke gehüllt und in den Nachthimmel
hinauf gesehen haben. Es war eine schöne Zeit, und genau diese Erinnerungen
geben mir heute die Kraft. Auch wenn ich weiß diese Zeit wird nicht mehr
kommen, aber diese Lebensmomente kann mir niemand nehmen, diese Momente bleiben
in mir drinnen und geben mir in Tagen wie diesen die Kraft um weiter zu machen.
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