Workshop

Ich besuchte gerne Workshops. Für mich war das eine Chance, interessante Menschen kennen zu lernen und Ideen zu sammeln. Workshops an der Volkshochschule, Workshops für Autoren, Workshops für Yoga. Ich war beruflich Schriftsteller, ich schrieb Satiren, und in Workshops konnte ich die menschliche Komödie, die gelegentlich zur Tragödie wird, ideal studieren.

Eines Tages besuchte ich den Workshop "Sich neu erfinden in der Mitte des Lebens - Design your life!". Ich erwartete, Teilnehmern in meinem Alter zu begegnen, zwischen Mitte 40- und Mitte 50-jährigen, doch zu meinem Erstaunen waren die meisten entweder zwischen 20 und 30 oder um die 70 Jahre alt. Waren die jungen Teilnehmer so fatalistisch im Angesicht des Klimawandels, und rechneten mit einer Lebenserwartung von maximal 60 Jahren? Und waren die Alten so fit und zuversichtlich, dass sie glaubten, weit über 100 Jahre alt zu werden? "Mitte des Lebens", das hieß für mich sich unter normalen Umständen in einem Alter von Anfang bis Mitte 40 zu befinden, wie ich es war. Ich fand schließlich eine plausible Erklärung: Es musste sich um Studenten und Rentner handeln, die schlichtweg über freie Zeit verfügten.

Mein Sitznachbar kam mir von Anfang an bekannt vor.

"Sind Sie Schauspieler?", fragte ich ihn mit einem Becher Kaffee in der Hand.

"Nein, ich bin arbeitslos!", antwortete er mir.

Der Kursleiter war ein neoliberal anmutender Hyper-Optimist mit Duracel-Batterieantrieb. Bereits seine Vorstellung ging mir auf die Nerven. Er schwadronierte, sich selbst in seinem Leben ungefähr 50mal neu erfunden zu haben. Vom Investmentbanker zum Sozialarbeiter, zum Komplettaussteiger, zum Tankstellen-mitarbeiter, zum Zeitungskioskbesitzer, zum Tantramasseur, zum Trauerbegleiter, zum Glücksforscher und letztlich zum Workshopseminarleiter. Zu allem Überfluss hatte der nervige Leiter des Workshops aber auch noch Sprungfedern in den Turnschuhen. Er federte auf und ab, und ich befürchtete, dass er irgendwann an der Decke anstoßen könnte.

Für den Paukenschlag sorgte mein Sitznachbar. Um die eigene Stimmung zu illustrieren, sollte jeder nach dem Fangen eines Hacky Sacks, den sich die im Kreis sitzenden Teilnehmer zuwarfen, am Flipchart ein Gesicht im Stil eines Smileys malen. Mein Sitznachbar bekam den Ball an den Kopf. Nachdem er nicht reagierte, hob jemand den Ball auf und warf erneut. Wieder gegen seinen Kopf. Auch dieses Mal erfolgte keine Reaktion. Ein komischer Kauz! Als ich den Sitznachbarn behutsam mit dem Finger auf die Schulter tippte, erschrak er.

"Ich treibe in einem Meer der Verwunderung*... Ich war in Gedankenstarre. Der Kreislauf! Ich bin etwas blutleer, entschuldigen Sie! Wo bin ich? Was muss ich tun?"

"Sie sind in einem Workshop. Sie müssen Ihre Stimmung auf das Flipchart zeichnen!", antwortete ich.

Daraufhin malte er einen Smiley mit einem leichten Lächeln und Tropfen an den Mundrändern.

"Aha!", sprach der Kursleiter.

"Sehr ausdrucksstark! Sehr vielschichtig! Da wird es richtig tiefenpsychologisch. Sie weinen aus dem Mund! Eine starke Metapher!"

"Nein, das sind Blutstropfen!", meinte der Sitznachbar.

"Blutstropfen. Hahahaha. Guter Joke. Sie dürfen mitlachen, meine Damen und Herren. Graf Dracula zum Morgenkaffee, als Muntermacher, warum nicht!?"

"Ich bin Graf Dracula! Und ich bin fast 500 Jahre alt! Ich bin hier, um neue Impulse für mein weiteres Leben zu erhalten. Es werden ja vielleicht weitere 500 Jahre sein!", erwiderte Graf Dracula.

Die Teilnehmerinnen des Workshops verließen augenblicklich ihre angestammten Plätze und stellten ihre Stühle an die äußersten Ränder des Seminarraums. Eine Teilnehmerin sprang aus dem Fenster. Da der Kursraum sich im 1. Stock befand, blieb sie unverletzt.

"Meine Damen!", rief Graf Dracula.

"Ich bitte Sie! Ihre Furcht ist unbegründet und beruht auf einem großen Missverständnis! Schuld hat vor allem Christopher Lee. Seine Darstellung als Dracula in sieben (!) Filmen hat meinem Ruf extrem geschadet. Blutsauger, Frauenverschwender, Sexist... Das trifft alles nicht zu! Nicht im geringsten! Ich gebe zu, in den ersten hundert Jahren meines Lebens, als junger Mann, die eine oder andere Frau auf mein Schloss mitge-nommen zu haben. Weil ich mit Einsamkeit zu kämpfen hatte! Aber diese Frauen sind freiwillig mit mir gegangen. Sie kamen oft aus ärmlichen Verhältnissen. Der Weg ins Schloss war für sie eine Art Aufstiegsmöglichkeit! Sie wurden von mir gut behandelt. Ich bin ein Gentleman der alten Schule und habe den Frauen jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Ich gehorchte ihnen, nicht sie mir! Alles beruhte auf Freiwilligkeit! Wollten die Frauen wieder gehen, durften sie das Schloss umgehend verlassen! Ich habe die Frauen nicht angerührt! Es sei denn, sie bestanden darauf. Wenn eine mehr wollte: In Ordnung. Ich tat es. Wenn eine von ihnen unbedingt ein Vampir werden wollte und darum bettelte, habe ich sie ausnahmsweise gebissen. Manchmal kamen Touristinnen vorbei, die in mich verliebt waren. Sie sagten:

"If you want blood, I`ll give you some." So ließen sie mir keine Wahl. Das waren aber ganz seltene Fälle. Tatsächlich habe ich mich in den vergangenen 200 Jahren von Insekten ernährt. Ich habe mich quasi nachhaltig ernährt. War schon früh meiner Zeit voraus! Ich bin ein bescheidener, anspruchsloser Graf Dracula geworden. Ich habe schon lange kein Schloss mehr. Ich lebe im Sozialen Wohnungsbau und bekomme Hartz IV. Kein Schloss, keine Beziehungen, nur Insekten! Ich habe einiges probiert in meinem Leben: Kellner in Weinsalons, Mitarbeiter im Callcenter, Pflegehelfer, Hundesitter. Nichts war von Dauer. Ich wünsche mir einen sinnvollen Beruf, den ich über einen längeren Zeitraum ausübe, und mehr menschliche Kontakte gegen die Einsamkeit! Deswegen bin ich hier in diesem Workshop! Und noch etwas. Wenn Sie mich nach dem Satan fragen: Ich bin zum orthodoxen Christentum konvertiert. Nachdem der Satan immer aufdringlicher missionierte und mich zu bestimmten Ritualen verpflichtete, schmiss ich ihn kurzerhand aus meinem Schloss in Transsylvanien und erteilte ihm fortan Hausverbot."

Applaus brandete auf. Was für eine erfrischende Rede!

Ich war begeistert von diesem Mann!

Da ich selbst seinerzeit ein neues Projekt angehen wollte, und ein wenig Geld auf die hohe Kante gelegt hatte, schlug ich Graf Dracula ohne Umschweife den Kauf eines Kinosaals vor, der in Kürze schließen sollte. Ich stand spontan auf und erläuterte das Konzept:

"Ich habe als Kind schon von einem Horrorkino geträumt. Ein Kino, das klassische und moderne Horrorfilme zeigt, mit einem integrierten Gruselmuseum. Das schwebt mir vor! Es gibt so viele gute Horrorfilme, nicht nur Graf Dracula mit Christopher Lee, die wir natürlich auch zeigen werden! Auf dem Weg von der Kasse in den Kinosaal wird es gruselig wie in der Geisterbahn. Im Kinosaal bauen wir einige Spezialeffekte ein, zum Beispiel
einen geheimen Zugang in einen gespenstischen Nebenraum. Außerdem betreibt das Kino niemand Geringerer als Graf Dracula persönlich!"

Bei einem Glas Wein im Anschluss an den Workshop besprachen Graf Dracula und ich das Konzept.

Einige Monate später feierte das Kino Premiere, mit dem Film Dracula mit Bela Lugosi. Das Horrorkino hatte von Beginn hohe Besucherzahlen. Heute ist es eine der Sehenswürdigkeiten in der Stadt. Graf Dracula ist ein beliebter Zeitgenosse und einer der prominentesten Geister dieser Stadt. Er ist inzwischen auch privat glücklich, und lebt mit einem Modell zusammen, das auf Instagram berühmt wurde.
Auch diese Geschichte habe ich im Internet gefunden, ich finde sie wunderbar Unterhaltsam und einfach das Gemüt erheiternd.

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