Ein Lachen

Das Lachen hallte durch die abendlichen Straßen der Stadt. Ein ungewohnter, heller Klang, der in jeder noch so engen und verwinkelten Gasse zu hören war. Gerade in dieser Zeit, wo die Menschen sich zurückzogen, ins ich gekehrt waren, ein Geräusch das ungewohnt war. Die schweigsamen Blicke der Menschen klebten auf den Pflastersteinen, niemand drehte sich um und wunderte sich. Keiner schien es zu hören, oder hören zu wollen. Eine kleine unbekümmerte Seele, beflügelt von der Sorglosigkeit, in kindlicher Unbeschwertheit die über den Köpfen der Menschen balanciert, gerade hier und jetzt in dieser erdrückenden Welt.

Mit einem leisen Kichern streckt sie die Arme von sich. Sie genießt den sanften Wind und den Klang ihrer federnden Schritte auf dem Dachfirst. Furchtlos ist sie. Frei. Sie stellt sich vor sie sei ein Vogel. Eine schneeweiße Taube, die in ihrer zaghaften Freiheit alles hinter sich lässt. Sie kann überall hinfliegen, wohin und wann immer sie will. Die Süße der Unabhängigkeit lässt sie für einen Moment an einem Vorsprung halten; jauchzend lehnt sie sich an einen Schornstein. Unter sich sieht sie die Menschen umgeben von massiven Käfigen. Lächelnd legt sie den Kopf schief. Sie will zwischen ihnen flattern, um sie genauer zu betrachten und hinter die versteinerten Masken ihrer Gesichter zu lugen. Doch von hier oben wirken sie alle so weit weg. Unerreichbar schlendern und rennen sie zwischen den Gebäuden. Ob sie es gerne machen?, fragt sie sich. Ob sie glücklich sind?

Sie klettert um den Schornstein herum und setzt ihren Weg wild um sich wirbelnd fort. Prickelnd spürt sie die zarten Berührungen der Sonne, die mit einer unsagbaren Wärme über ihre Haut streichelte. Für diese Menschen da unten wird es jedoch immer ein verregneter Tag bleiben, dessen Wolkendecke drückend auf sie herab zu fallen droht.

Sie wirft einen letzten Blick auf die Stadt unter sich. Sie beobachtet das Netz des schwarzen Asphalts und der einbetonierten Häuser, die unter ihren Füßen zu verschwimmen drohen. Ihre Gedanken sind frei. Die klebenden Erinnerungen an die trostlosen Tage sind verblichen. Sie erinnert sich nicht mehr an die beengenden Massen, welche sie von der einen in die andere Richtung geschoben hatten. Der schwere Vorhang ihrer Sicht ist gewichen. Sie sieht nur noch die fliegenden Vögel, in der himmlischen Luft der Schwerkraft trotzend. Fasziniert folgt sie ihnen mit ihren Augen und streckt ihnen ihre Hände kichernd entgegen. Sie folgt ihnen auf ihren Zehnspitzen laufend hinterher; ruft und schreit wirre Worte des Glücks in das städtische Treiben heraus. Vielleicht ist sie verrückt. Vielleicht ist sie das tatsächlich. Doch vielleicht ist es auch einfach, weil sie anders als alle anderen ist. Sie ist sie selbst; ein zerstreutes Puzzle, dessen Teile niemals vollkommen zusammenpassen werden. Besonders. Sie braucht niemanden, genau wie sie gleichzeitig niemand jemals brauchen wird. Sie gehört zu niemandem. Sie ist in ihrer eigenen strahlenden Welt, in welcher die Sonne in der Nacht in ihrer vollsten Blüte erstrahlt, während sie am Tag kichernd die Sterne zu zählen beginnt. In dieser Welt sind all diese Sekunden, diese kleinen Augenblicke und kurzen Momente alles andere als klein. Sie sind das kostbare Fundament des Möglichen. Einer einzigartigen Welt, die sie in vollem Genuss in sich aufnimmt. Ihr entgeht nichts.

Lachend singt sie zu einem Lied in ihrem Kopf. Mit jedem Schritt den sie über den Dachfirst tanzt, wird sie vernehmbarer, bis sie schließlich mit Gelassenheit den Text lauthals über den Dächern schreit. Sie klettert über mehrere Dachvorsprünge und Fensterbretter höher und höher, bis sie sich schließlich auf ein weites Flachdach hievt, von welchem sie eine Aussicht auf die gesamte Stadt hat. Langsam dreht sie sich um sich selbst und streckt voller Entzücken ihre Arme lachend von sich. Sie genießt die zarten Windströme; den kühlenden Duft der hereinbrechenden Dunkelheit. Bedächtig wandern die ersten Schatten durch die Straßen. Mit einer achtlosen Bewegung wirft sie ihre Jacke von sich und fährt sich über die entblößte Haut ihrer Arme. Glücklich wiegt sie sich hin und her. Sie ist eine freie unbekümmerte Seele. So fremd auf diesem eigenartigen Planeten. Kichernd streckt sie sich der untergehenden Sonne entgegen; begrüßt das warme Mondlicht der weißen Scheibe am Himmel. Dabei kommt sie der Kante des Daches immer näher bis sie schließlich kurz vor ihr mit einem Lächeln hält. Sie erblickt die vereinzelt aufleuchtenden Laternen. Wie eine Woge Lichts fluten die Wellen die Straßen; ein Lichtermeer, welches sich schäumend an ihrem Hochhaus bricht. Selig beobachtet sie die Stadtsilhouette und tritt vollends an die Kante heran. Sie nimmt alles um sich herum wahr, jede einzelne Facette und jedes Geräusch. Ihr Lachen wird noch lauter, ihr Lächeln ein wenig breiter und ihre Gedanken ruhiger. Sie hat noch nie Angst vor der Höhe verspürt, selbst nicht in diesem Moment, als sie sich voller Lebenslust an der Dachkante nach vorne wiegt. Sacht hebt sie die Arme in die Luft, als wolle sie wie eine weiße Taube davonfliegen.

Ihr Lachen hallt durch die abendlichen Straßen der Stadt. Es wundert sich keiner; es dreht sich niemand bei dem ungewohnten Klang herum. Keiner sieht sie.

Und sie fliegt.



Diese kleine Geschichte habe ich im Internet gefunden, Autor unbekannt, Ich habe mir nur erlaubt sie ein wenig zu ändern und an die heutige zeit zu adaptieren.



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