Wenn das Vergessen kommt

Am Anfang haben wir gar nichts bemerkt. Menschen mit Demenz haben die Fähigkeit, ihre Erkrankung lange Zeit bedeckt zu halten. Zuerst haben wir bestimmte Verhaltensweisen für Marotten gehalten und sind nicht auf den Gedanken gekommen, dass dahinter eine Krankheit stehen könnte. Wir hatten keine Erfahrungen damit. Ich hatte zwar schon mal etwas von Alzheimer gehört. Aber ich wusste nur, dass diese Erkrankung etwas mit Vergesslichkeit zu tun hat.

Man schaut in den Himmel und weiß nicht, wie nah man im bereits ist in Gedanken. Alles kann ganz anders kommen als man gedacht hat. Immer bleibt eine kleine Unwägbarkeit, eine Tür, eine Hoffnung die man geschlossen wähnt, die sich aber unverhofft öffnen könnten und einen Sturm hereinlässt. Es könnte wie ein Sturm sein, der einen die Beine wegreißt. Oder das gesamte Leben. Man denkt, mit 75 hat man alles überstanden und nun kann in aller Ruhe das Leben noch gelebt werden. Die ganzen Unwägbarkeiten des Lebens sind vorbei gegangen. Die Herausforderungen des Lebens hatte er überstanden, im Beruf, in der Ehe und der vielen anderen Dinge, die er erlebt hatte.

Aber dann greift jemand nach einem und reißt den Kern dieses Lebens einfach heraus. Seine Erfahrungen. Das Wissen, dass man vorangegangene Krisen aushielt und überstand, dass das Glück zwar nicht immer dann zurückkehrte, wenn man es brauchte, aber meist irgendwann. Dies alles verschwindet seit einiger Zeit in meinem Vater wie in einem Loch, das man nicht stopfen kann. Er befindet sich in einer Odyssee durch Raum und Zeit. Im Bermuda-Dreieck seiner Gedanken drückt er auf viele Tasten, von denen er hofft, dass sie seinen Erinnerungen eine Richtung geben. Oder wenigstens Anhaltspunkte. Aber oft entsteht beim Zurückspulen nur Bandsalat.

Schmerzhaft ist der Prozess des langsamen Abbaus dennoch. Auch wenn man weiß, dass es passieren wird, trifft es die meisten, und auch mich, unvorbereitet, wenn die eigenen Eltern den Namen ihres Kindes vergessen. Es schmerzt und tut weh, wenn man sieht wie der Vater, der Mensch, den man kannte, einfach verschwindet, jemand anderer wird. Früher konnte man mit ihm über alles reden, er lass gerne Wissenschaftszeitschriften, hatte seine Meinung vom Leben und hatte seine Standpunkte. Heute sind seine Gedanken unstet, nicht fokussiert, er weiß vieles nicht mehr, nur noch Dinge aus ferner Vergangenheit. Immer öfter wurde er geistesabwesend, zugleich nervös und fühlte sich schnell überfordert oder angegriffen. Seine Aggressivität stieg langsam immer mehr. Aber das sind meist äußere Faktoren. So glaubt er sich nicht verstanden zu fühlen, und bevormundet. Heute lassen wir ihn einfach machen, das bringt ein wenig ruhe hinein.

Ich weiß nicht wirklich, wie es in seinem Kopf aussieht, denn nur im Anfangsstadium hat er immer wieder davon gesprochen, wie seltsam es ist das eine oder andere vergessen zu haben. Später wurde es immer mehr und er merkte es selbst nicht mehr. Man muss langsam lernen zu erfühlen, wie es dem Menschen geht, was er benötigt und was im guttut.

Wie es weitergeht mit ihm kann ich noch nicht sagen, wie wir damit umgehen werden, wenn es langsam noch schlimmer wird kann ich auch nicht sagen, und ehrlich ich möchte daran gar nicht denken. Es macht die Gedanken schwer zu sehen, wie er sich verändert hat, man wünscht sich er wäre wieder der der er einmal war, weiß aber tief im Herzen, das er das nicht mehr sein wird.

Ich bin sicher es gibt viele da draußen denen es wie mir geht, die dastehen und Nachdenken. Was wird da noch kommen, wie gehe ich damit um, was kann ich tun. Was können wir tun? Und ehrlich auch ich weiß keine Antwort darauf. Ich lese viel zu dem Thema und überlege was wir als Familie tun können, um ihm noch ein schönes Leben zu ermöglichen.



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